Rezensionen
Anna Kranich ist eine ungewöhnliche, komplizierte und feine Künstlerin. Ihr schöpferischer Lebenslauf ist schon dadurch
interessant, indem sie in zwei Ländern ausgebildet wurde, in Deutschland und in Russland und die Traditionen von den
sehr starken und ernsten malerischen Schulen in sich verbunden hat.
Die fachliche Fähigkeit der Malerin, die an diesen Hochschulen gefeilt worden ist und die sich hingegebene
schöpferische Arbeit danach haben es zu solchem Niveau gebracht, wenn die Technik schon nicht auffälig ist und lässt
das Wesentliche des Werkes wahrnehmen. Das Ungewöhnliche und Kennzeichnende bei dieser Künstlerin ist die
Tatsache, dass Kranich sowohl als eine Architektin als auch als eine Grafikerin tätig ist. Es kann sein, dass dies der
Grund dafür ist, dass ihre graphischen Werken sehr raumvoll und ihre architektonischen Projekte zierlich und grafisch
sind.
Ihre Werke betrachtend, trifft man auf ein wunderliches Beispiel der Vielfältigkeit in der künstlerischen Methode. Anna ist
sehr unterschiedlich in ihrer Arbeit, aber es wundert nicht die Vielfältigkeit selbst, sondern ihre Erfolge bei jeder Variante.
Einige von ihren graphischen Werken sind den Symbolen, Zeichen nah, die so tief und energievoll sind, dass es sinnvoll
für die Autorin scheint, dieses Verfahren zu ihrer Hauptmethode zu machen – so erfolgreich sind die Ergebnisse .
Aber schon bei der anderen Serie sieht man Werke, die sehr erzählerisch sind. Es sind „Blätter – Novellen”. Man
möchte sie langsam betrachten, sie haben etwas von der theatralischen oder kinematographischen ausgedehnten
Handlung in sich, obwohl Anna visuell nirgendwo die Regeln der Grafik bricht. Diese Blätter scheinen den Beobachter in
sich zu locken und der ist plötzlich „drinnen” im Bild. Der Blick irrt um das Werk herum, immer neue Nuancen
entdeckend . Aber das Wunderbarste ist , dass es Kranich gelingt, gerade das Maß des „Ungesagten” zu verwenden,
das die Möglichkeit bietet, das Bild im Kopf weiterzumalen. Dieses nicht bis zum Ende Gesagten ist so natürlich, dass
die Zuschauer zu einem Coautor werden. Das ist eine der seltenen und einzigartigen Erscheinungen.
Und am Ende kann man als drittes Beispiel des Verfahrens die Serien nennen, die an deutsche klassische Gravure
erinnern. Es ist oft der Fall, dass die moderne deutsche Grafik nicht mit den Vorstellungen über die berühmte deutsche
Schule übereinstimmt. Im gegebenen Fall findet man die angenehme Wiedererkenntnis der klassischen Tradition und
das Zusammenfallen unserer Vorstellungen davon in den Beispielen, die wir bei Anna Kranich sehen.
Aber wie unterschiedlich auch die Werke dieser Autorin sind, sie sind durch die emotionelle Stärke miteinander
verbunden, deren Konzentration so intensiv ist, dass sie sogar einen pragmatischen Zuschauer aus dem Gleichgewicht
bringt auch durch einen tiefen psychophilosophischen Untertext, der in jedem Werk vorhanden ist.
Die philosophischen Überlegungen Annas – und gerade so kann man ihre Werke definieren – haben keinen Charakter
der schwierigen Gehirnübungen, wie es oft in der Philosophie vorkommt, eher stellen sie weise Selbstbetrachtung und
Weltbetrachtung dar durch das Prisma der Gefühle und nicht nur durch das der Logik. Vielleicht gerade deshalb und
auch dank ihrer Weltwahrnehmung empfinden die russischen Zuschauer die kreative Welt von Anna Kranich nicht als
eine ausländische, fremde Welt. Ihre Werke klingen überraschenderweise dem Petersburger Stil nahe. Es ist kein Zufall,
so Anna, dass sie das Pseudonym „Kranich” gewählt hat, einem „Vogel der zwei Heimaten hat“.
Die Vernissage der ausgestellten Werken bietet die Möglichkeit , die ganze Vielfalt ihres kreativen Suchens
wahrzunehmen, die an die Worte der alten orientalischen Weisheit erinnern : „Es gibt in der Welt nur das einzig
Ständige – das ist die unendliche Bewegung”. Ihre Werke müssen ein Entzücken hervorrufen können, man könnte sie
lieben oder nicht, aber es ist unmöglich, sie gleichgültig zu betrachten. Sie besitzen einen Teil der sinnlichen
wechselreichen Vibration des Lebens selbst.
Kirillowa M.
Dr. Phil. Zentrum für die Buch und Graphik. St. Petersburg